Cola-Korn im Mikes Pub - Zu Besuch beim SV Meppen 11FREUNDE

Ob der Mythos in Meppen noch immer ein Thema ist? Benjamin Gommert sieht das ganz gelassen. „Ja gut, beim Smalltalk am Zaun“, sagt der Torwart der aktuellen Mannschaft. „Dann wird mal eben zweite Liga ausgepackt.“ Vornehmlich von Männern, die seine Väter sein könnten. Gommert ist bald 32 Jahre alt, und als der SV Meppen 1987 in die zweite Bundesliga aufstieg, da war er zwei. Als die Meppener über ein Jahrzehnt später wieder runter mussten, bereitete er sich gerade auf seine Pubertät vor. Er stammt nicht aus Meppen, sondern aus Bad Segeberg, knapp dreihundert Kilometer entfernt. Bevor es ihn 2011 ins Emsland verschlug, stand er für den VfB Lübeck, Wacker Burghausen und den FSV Zwickau im Tor. Was soll er mit dem verdammten Mythos anfangen?
Those were the days
Ein paar Straßen weiter, sechs Stunden zuvor, sieht das ganz anders aus. Die Männer, die im Hotel Pöker zusammenkommen, um über die alten Zeiten zu plaudern, sind nicht nur mit dem Mythos vertraut, sie verkörpern ihn geradezu. Robert Thoben, 53, hat 61 Zweitligatore geschossen und ist damit der Rekordschütze der Meppener. Josef Menke, 57, der „Emsland-Netzer“, wie er damals genannt wurde. Bernd Deters, 54, der sein ganzes Fußballleben beim SVM verbracht und 524 Spiele für ihn gemacht hat. Dazu der mittlerweile 82-jährige Wolfgang Gersmann, ein Vierteljahrhundert Vereinspräsident, von 1974 bis 1998. Auch der Ort ist historisch, denn an eben diesem Tisch bei Pöker tagte über viele Jahre der Klubvorstand. Wenn abends eine Runde im DFB-Pokal ausgelost wurde, dann wussten die Lokaljournalisten, wo sie zu sein hatten, um noch ein paar O‑Töne abzugreifen. Der Biertisch im Pöker war quasi die Machtzentrale des SV Meppen. Those were the days…
Heute gibt es ja so einige Kleinstadtvereine im deutschen Profifußball (Sandhausen, Heidenheim, von Hoffenheim ganz zu schweigen), aber als im Sommer 1987 der SV Meppen in die zweite Bundesliga aufstieg, da war das eine echte Sensation – auch für die Beteiligten selbst. Die Mannschaft aus der 30000-Einwohner-Stadt in der Nähe der holländischen Grenze war bis dahin zwar eine regionale Größe, hätte aber selbst nie damit gerechnet, so weit nach oben zu kommen. Sogar als sich der Klub für die Aufstiegsrunde qualifizierte, sollten die Einnahmen aus den vier Heimspielen gegen Hertha BSC, Arminia Hannover, Erkenschwick und Remscheid in erster Linie dem Schuldenabbau dienen. Doch die Elf gewann in der Fünferrunde zwar kaum ein Spiel, verlor aber nicht ein einziges – so dass vor der letzten Partie in Erkenschwick feststand: Wenn der SV Meppen gewinnt, ist er drin, ob er will oder nicht. Mit einer Mannschaft, in der 19 von 22 Spielern im Kader aus dem Emsland stammten.
„Da war schon das Pferd gekauft und das neue Auto bestellt“
Es war eine Situation, die einem durchaus Angst einflößen konnte, in der aber auch Träume sprossen. „Vor dem Spiel in Erkenschwick haben die Frauen zusammengesessen und rumgesponnen, was sie machen können, wenn sie demnächst Spielerfrauen sind“, sagt Robert Thoben. „Da war schon das Pferd gekauft und das neue Auto bestellt.“ Die Realität nach dem überzeugenden 4:2 und dem damit feststehenden Aufstieg sah anders aus: 1100 Mark plus Punktprämien offerierten die vom Vorstand in aller Eile aufgesetzten Verträge, die die meisten Spieler noch in der Aufstiegsnacht unterschrieben. „Im Wahnsinn und im Banne des Alkohols“, wie Thoben rekapituliert.
In der zweiten Liga holte sich die emsländische Regionalauswahl nach einer gerade mal einwöchigen Saisonvorbereitung zunächst eine blutige Nase und verlor das erste Spiel bei Kickers Offenbach chancenlos mit 0:3. „Das war das einzige Mal, dass ich meine Frau mitgenommen habe“, erzählt Gersmann. „Die hat gesagt, ich geh’ da nie wieder hin. Ihr kriegt ja doch immer nur auf die Mütze.“ Doch da irrte Frau Gersmann gewaltig, denn der Aufsteiger akklimatisierte sich schnell und geriet in der ganzen Saison nie wirklich in Abstiegsgefahr. Mehr noch: Mit ihrer „Gummistiefelmentalität“ (Thoben) wurden die Meppener Halbprofis bald zum Schrecken des Establishments. Der Fußball lebt von Klischees, und der SV Meppen war bald das Synonym für tiefste Fußballprovinz, da brauchte man gar nicht Toni Schumacher und seinen berühmt gewordenen Satz „Ich spiele doch nicht in Meppen“ bemühen. Wenn das Fernsehen aus dem neuen Zweitligastandort berichtete, dann kam garantiert ein Landwirt auf seinem Traktor zu Wort, und die begehrtesten Spielanalysen lieferte Stürmer Martin van der Pütten, vorgetragen im sortenreinen norddeutschen Platt. In ihrer Fixierung auf skurrile lokale Eigenheiten übersahen viele Berichterstatter, dass die Meppener in den folgenden Jahren richtig guten Fußball spielten und dem Aufstieg in die Bundesliga zeitweise näher waren als dem Abstieg. Am Ende dauerte das Abenteuer elf Jahre, und der SV Meppen war der am längsten ununterbrochen in der Liga spielende Klub nach Fortuna Köln.
Eine bessere Kreisauswahl
Wer die Runde bei Pöker nach dem Geheimnis des damaligen Erfolges fragt, bekommt die unterschiedlichsten Antworten. Die Rolle des belächelten Underdogs nahmen die Meppener jedenfalls gerne an. „Wir waren anfangs meist Außenseiter“, sagt Josef Menke. „Als Spieler ist das ja eine dankbare Situation.“ Hinzu kam der überdurchschnittliche Zusammenhalt innerhalb der besseren Kreisauswahl, außerdem nahmen die Feierabendfußballer im wahrsten Sinne des Wortes nicht alles bierernst. Bernd Deters erinnert sich an ein Auswärtsspiel bei Blau-Weiß Berlin: „Wir haben schlecht gespielt und 0:3 verloren. Auf der Rückfahrt haben wir aber richtig den Korken aufgemacht. Eine Woche später haben wir den Gegner in Grund und Boden gespielt. Das war vielleicht nicht profihaft, hat aber gewirkt.“ Je länger die Plauderei dauert, desto mehr kann man sich in den Anekdoten verlieren. Da ist die Rede von seltsamen Heimschiedsrichtern, „schrägen Fürsten“ (Gersmann), ausverkauften Tröten im Emsland und Spielerhosen mit zwei Taschen („Wir wollen nicht alles erzählen, Herr Gersmann!“). Und es entsteht der Eindruck einer Fußballwelt, die vielleicht, aber auch nur vielleicht ein bisschen korrupter war als die heutige, aber bestimmt viel menschlicher.
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